Kultur

Norman Mailer: Mondlandung als Weltliteratur

Freitag, 19. Juli 2019 - 10:00 Uhr

von Von Wolfgang Jung, dpa

„Moonfire“ von Norman Mailer mit unveröffentlichten Fotos der Mondlandung. Foto: Taschen Verlag

Köln (dpa) - Im Auftrag eines Magazins schildert der preisgekrönte US-Autor Norman Mailer vor 50 Jahren die Mondlandung. Es ist ein Stück großer Erzählkunst.

Kein Text-Bild-Buch über die Mondlandung vor 50 Jahren wird der historischen Reise wohl so gerecht wie „Moonfire“ von Norman Mailer. Übergroß, schwergewichtig, und voll faszinierender Fotos ist die damalige Reportage des US-Autors nun anlässlich des Jahrestags am 20. Juli als bibliophile Ausgabe wiedererschienen.

Der 348 Seiten dicke Foliant ist nicht nur für Anhänger der bemannten Raumfahrt eine Art Kursbuch durch die Schwerelosigkeit. Vermutlich gibt es keine andere literarische Geschichte, die die Faszination der Raumfahrt mit solch großer Erzählkunst einfängt wie „Moonfire“.

Doch Mailer (1923-2007) berichtet nicht nur vom Menschheitstraum, den Heimatplaneten zu verlassen und das Universum zu erforschen. Der Schriftsteller schildert auch die anfänglichen Vorbehalte vieler Amerikaner gegen Wernher von Braun (1912-1977) wegen der NS-Vergangenheit des Deutschen. Dem Raketeningenieur, der an der Wiege des Apollo-Programms stand, schlug lange Misstrauen entgegen.

Als scharfer Kritiker der damaligen US-Gesellschaft stellt Mailer in seinem mitreißenden Essay, der unter dem Titel „Auf dem Mond ein Feuer“ in Deutschland erstmals 1971 erschien, die legendäre Mission zudem in einen politischen Kontext. Der preisgekrönte Autor sieht seine Landsleute in den späten 1960er Jahren als Vertreter einer Konsumgesellschaft „in immerwährender Hast auf der Suche nach neuen Ideen, die sie kaufen können“. Skeptisch äußert sich Mailer auch über die weit verbreitete Technikgläubigkeit der Raumfahrt. Hier wechseln Schwärmerisches und Respekt mit oft ironischem Spott ab.

Vom US-Magazin „Life“ war Mailer damals beauftragt worden, die Mission journalistisch zu begleiten. Es sagt viel über die Qualität des Textes aus, wenn man sich an Mailers Schilderungen ebenso lange erinnert wie an die Mondlandung. Die in drei „Life“-Heften abgedruckte Geschichte erschien 1970 als Buch. Für eine Reportage über die Proteste gegen den Vietnamkrieg (1969) und über die Todesstrafe (1980) hatte Mailer den Pulitzer-Preis erhalten. Bekannt geworden war er mit dem Roman „Die Nackten und die Toten“ (1948). In „Moonfire“ schreibt er aus Sicht des fiktiven Charakters „Aquarius“.

Egal, wo man „Moonfire“ aufschlägt - man bleibt hängen. Dutzende Pläne und oft unveröffentlichte Fotos der US-Raumfahrtagentur Nasa hat der Taschen-Verlag wiederaufgelegt. Aufnahmen aus dem Innenleben der Familien und vom knochenharten Drill der Astronauten, aber auch vom dehydrierten Proviant an Bord der „Apollo 11“ und von der Nervosität bei der Nasa in Houston. „Die Spannung im Kontrollzentrum war enorm - als Neil sich nach der Landung meldete, war es, als lasse man die Luft aus einem zum Bersten gefüllten Ballon“, erzählte der damalige Verbindungsmann im Kontrollzentrum, Charles Duke, einmal.

Im Mittelpunkt steht der atemberaubende Aufenthalt der Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Erdtrabanten. Die üppige Auswahl der Bilder und ihre technische Brillanz fesseln jeden Betrachter. Dazu berichtet der Autor kongenial mit Leidenschaft, Zweifel und angelerntem Fachwissen. Mailer gelingt das Meisterstück, den Leser auf die legendäre Reise zum Mond mitzunehmen - ohne selbst losgeflogen zu sein. Das macht „Moonfire“ zu einem Standardwerk. Der Leser ist stets auf Augenhöhe, die Spannung reißt nicht ab.

50 Jahre nach der historischen Mondlandung am 20. Juli 1969 scheinen Flüge in den Weltraum fast Alltag. Mit rund 28.000 Kilometern pro Stunde rast die Internationale Raumstation ISS heute in etwa 90 Minuten einmal um den Erdball. Mailers Reportage bringt das Staunen zurück. Sie erinnert daran, unter welchen Mühen der Weg ins All zurückgelegt wurde. Den Anteil der Sowjetunion, die Juri Gagarin 1961 als ersten Raumfahrer in den Kosmos schoss, lässt er nicht unerwähnt.

Der Autor ist wohlwollend dort, wo es um Menschen und ihre Sehnsüchte geht. Dem Fortschritt steht er aber zwiespältig gegenüber. So ist „Moonfire“ auch kein Arbeitsauftrag für einen Flug zum Mars. Mailer legt Zeugnis ab über eins der größten Abenteuer der Menschheit. Oder, wie es nennt, über die „bedeutendste Woche seit der Kreuzigung“.

Norman Mailer: Moonfire, Vorwort von Colum McCann, Taschen Verlag, 348 Seiten, 40 Euro, ISBN 978-3-8365-7114-2