Kultur

Wie „Holocaust“ ins Fernsehen kam

Freitag, 11. Januar 2019 - 13:01 Uhr

von Von Christoph Driessen, dpa

Szene aus Folge 3 der TV-Serie „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss“. Foto: -/WDR/Worldvision Enterprises Inc.

Köln (dpa) - Vor 40 Jahren ging eine Serie um die Welt - „Holocaust“. Nur in Deutschland gab es erbitterten Widerstand gegen die Ausstrahlung. Am Ende lief sie im Dritten Programm. Eine Dokumentation zeigt, was dann geschah.

Man kann es sich heute nicht mehr vorstellen, aber das Wort „Holocaust“ war bis vor 40 Jahren in der deutschen Bevölkerung unbekannt. Erst mit der US-Serie dieses Namens, die ab 22. Januar 1979 erstmals ausgestrahlt wurde, etablierte sich der Begriff.

Und erst mit „Holocaust“ wurde der Völkermord an den Juden für Millionen Deutsche konkret. Viele Ältere, die noch selbst die Nazizeit miterlebt hatten, vergossen damals Tränen - nicht über reale Menschen, sondern über die fiktive Familie Weiss.

Der Ankauf der US-Serie war überaus umstritten - das dokumentiert jetzt der Film „Wie "Holocaust" ins Fernsehen kam“, der am Montag (14. Januar) im WDR und am Mittwoch (16. Januar) im NDR und SWR gezeigt wird. Auch die Serie selbst wird derzeit wiederholt.

„Diese Sendung "Holocaust" war nach meiner Erinnerung die umstrittenste Sendung, die der WDR je hatte“, sagt Petra Witting-Nöthen, die das historische Archiv des Senders leitet. Der damalige WDR-Fernsehspielchef Günter Rohrbach bekam Morddrohungen, auf zwei Sendemasten wurden Sprengstoffanschläge verübt.

In der Politik, in der Presse und in der Bevölkerung - überall gab es Bedenken: Die Rechten ereiferten sich über die „Hetzserie“, die Linken lehnten das „kommerzielle Hollywood-Melodram“ aus Amerika ab. Viele Intellektuelle waren der Meinung, dass man die Massenvernichtung überhaupt nicht in Unterhaltungsfilmen aufbereiten dürfe. Und deutsche Filmemacher äußerten sich abfällig über manche Kameraeinstellung.

„Stellen Sie sich mal vor: Die ganze Welt sendet es - aber die Deutschen haben ästhetische Bedenken“, sagt der heute 90 Jahre alte Rohrbach. Eine Ausstrahlung in der ARD konnte aber auch er nicht durchsetzen - als Kompromiss landete die Serie in den Dritten Programmen, die sich dafür immerhin auf gemeinsame Sendetermine einigten. An den meisten DDR-Bürgern ging die Serie dadurch vorbei: Sie konnten nur ARD und ZDF empfangen.

Als der Vierteiler erst einmal lief, entfaltete er sofort eine enorme Wirkung. Nach WDR-Angaben hat damals fast die Hälfte der Bundesdeutschen über 14 Jahren wenigstens einen Teil der Serie gesehen. „Es war ein gewaltiger Erfolg“, erinnert sich Rohrbach, „und der Erfolg bestand aber in einem Entsetzen“.

Deutsche Filmemacher und Schriftsteller fragten sich, warum ihnen keine vergleichbare Erschütterung gelungen war. Zumal „Holocaust“ noch nicht einmal für das deutsche Publikum konzipiert war, sondern eben für amerikanische Zuschauer. Die Antwort ist wohl: „Holocaust“ erzählte das Geschehen einerseits aus der Opferperspektive. Das Leid von Millionen wurde in einem Einzelschicksal verdichtet - ähnlich wie dies auf andere Weise das „Tagebuch der Anne Frank“ tut. Mit den Hauptfiguren der Serie konnte man sich identifizieren, es waren richtige deutsche Bildungsbürger mit Flügel und Goethe-Gesamtausgabe.

Dadurch dass jedoch gleichzeitig in einem zweiten Handlungsstrang die Karriere des Nazis Erik Dorf nachgezeichnet wurde, war es den Zuschauern, die selbst noch die Nazizeit erlebt hatten, nicht möglich, sich auch zum Opfer zu stilisieren. Die Frage, wo man selbst gestanden hatte, war unausweichlich. Und so wollten denn auch viele Zuschauerinnen und Zuschauer in den anschließenden Diskussionsrunden wissen: „Wie erklären wir unseren Kindern, dass wir das nicht verhindert haben?“ Die Antwort darauf konnte ihnen kein Studioexperte geben.

Einer Umfrage zufolge zeigten sich nach der Ausstrahlung 64 Prozent der Zuschauer erschüttert, 22 Prozent gaben an, fast geweint zu haben. Das war für die damalige Zeit außergewöhnlich, denn das Deutschland des Jahres 1979 war den Verbrechen noch sehr nahe. Wenn man von dort noch einmal 40 Jahre zurückrechnet, befindet man sich im Jahr 1939. Wie die Filmemacherin Alice Agneskirchner recherchiert hat, schickten sogar viele ehemalige Wehrmachtssoldaten Fotos ein, die die Massenmorde während des Russlandfeldzugs dokumentierten.

„Erst durch diesen Film ist so etwas wie Erinnerungskultur in Deutschland entstanden“, sagt der Direktor des NS-Dokumentationszentrums Köln, Werner Jung. Wenige Monate später entschied der Bundestag in einer Abstimmung, dass die Massenmorde aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht verjähren sollten. Die Mehrheit dafür war nur knapp: 255 zu 222. Man kann sich fragen, wie sie ohne die „Holocaust“-Serie ausgefallen wäre.