Deutsche Bank nach der Ära Achleitner

Deutsche Bank nach der Ära Achleitner

Der Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner geht nach zehn Jahren. Foto: Boris Roessler/dpa

Frankfurt/Main (dpa) - Paul Achleitner schlägt zum Abschied selbstkritische Töne an: „Auch ich habe die Startvoraussetzungen 2012 anders eingeschätzt, als sie sich heute in der Rückschau darstellen“, räumte der scheidende Aufsichtsratschef der Deutschen Bank bei seiner letzten Hauptversammlung ein.

„Der Weg in die neue Realität war nicht immer ein geradliniger. (...) Und es wurden Fehler gemacht, und ja, auch ich habe Fehler gemacht.“ Nachfolger wird Alexander (Alex) Wynaendts (61), den die Aktionäre bei der Online-Hauptversammlung mit großer Mehrheit in das Kontrollgremium wählten.

Als der einstige Investmentbanker Achleitner Ende Mai 2012 einen der wichtigsten Posten der deutschen Wirtschaft übernahm, versprach der scheidende Konzernchef Josef Ackermann ein „besenreines“ Haus. Dass die Bank relativ gut durch die Finanzkrise 2007/2008 gekommen sei, sei den damals Verantwortlichen zu Kopf gestiegen, meint Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): „Die Folge dieser Mischung aus Hybris und Arroganz mussten dann im Wesentlichen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie wir Eigentümerinnen und Eigentümer ausbaden.“

Nach und nach wurde der Berg teurer Altlasten größer, die Deutschlands größtes Geldhaus jede Menge Geld kosteten und das Image der Deutschen Bank kräftig ramponierten. Doch zur Wahrheit gehört auch: Während die US-Konkurrenz direkt nach der Finanzkrise Bilanzen entrümpelte, suchte der Frankfurter Dax-Konzern über Jahre nach einem klaren Kurs. „Der Sanierungsbedarf bei der Deutschen Bank war besonders groß und die Sanierung wurde zu spät angepackt“, kritisiert Alexandra Annecke, Fondsmanagerin bei Union Investment, zu Achleitners Abschied nach zehn Jahren im Amt.

Statt in der Champions League zu spielen, verschliss das einst stolze Institut im Stile abstiegsbedrohter Fußball-Clubs einen Trainer nach dem anderen. Der im April 2018 zum Vorstandsvorsitzenden beförderte Christian Sewing ist der vierte Konzernchef in der Ära von Bayern-München-Fan Achleitner, wobei er das anfangs amtierende Duo Anshu Jain/Jürgen Fitschen nicht selbst installiert hatte.

Je länger sich die Deutsche Bank durchwurschtelte - mal sollte die Postbank verkauft werden, dann wurde sie doch ins Privatkundensegment eingegliedert - umso lauter wurde die Kritik auch an Achleitner. 2019 forderten Aktionäre die „Abwahl des Systems Achleitner“.

Hat der in der Vergangenheit als Deal-Maker gefeierte Strippenzieher Achleitner zu lange an den falschen Managern festgehalten? Dass ausgerechnet der Investmentbanker Jain als Co-Chef (Juni 2012 - Juni 2015) mit den Auswüchsen des Kapitalmarktgeschäfts aufräumen und einen „Kulturwandel“ vorantreiben würde, hielten Kritiker schon bei Jains Berufung für fragwürdig. Danach holte Achleitner John Cryan als Sanierer (Juli 2015 - April 2018), ließ den Briten aber trotz dessen schonungsloser Analyse der Misere des Geldhauses wieder fallen.

„Spiegel Online“ zitiert Analyst Dieter Hein von Fairresearch mit einem harschen Urteil: „Es waren zehn verlorene Jahre. Die Aktionäre können froh sein, dass Achleitner bald weg ist.“ Der so Gescholtene verteidigt in seiner Abschiedsrede bei der Online-Hauptversammlung: 2012 sei nicht absehbar gewesen, dass letztlich „eine grundlegende Sanierung“ notwendig sei, „die de facto eine Dekade brauchen würde“.

Mit Sewing scheint die Trendwende geglückt. Die Geschäfte der Bank liefen zuletzt wieder besser, der Aktienkurs hat das Rekordtief von knapp 4,45 Euro ein gutes Stück hinter sich gelassen. Im vergangenen Jahr erzielte der Konzern den höchsten Jahresgewinn seit 2011, das laufende Jahr begann mit einem Milliardengewinn im ersten Quartal.

Nach zwei Nullrunden sollen die Aktionäre für das Geschäftsjahr 2021 wieder 20 Cent Dividende je Anteilsschein erhalten. Bis 2025 will der Vorstand rund acht Milliarden Euro an die Anteilseigner ausschütten - ein überfälliger Schritt aus Sicht vieler Aktionäre, schließlich zahlte die Bank auch in mageren Jahren hohe Boni an Investmentbanker.

Nach Ansicht von Andreas Thomae von Deka Investment hat Achleitner nach Strategiewechseln, Personalrochaden und verlustreichen Jahren letztlich die richtigen Weichen gestellt: „Der Umbau mit Fokus auf die Stärken ist gelungen, das richtige Managementteam sitzt am Ruder und die Bank ist insgesamt wieder gut angesehen bei ihren Kunden.“ Nun gelte es, die Profitabilität auf hohem Niveau zu festigen.

„Wir haben noch viel Arbeit vor uns“, sagt Konzernchef Christian Sewing. In der Tat: Bis Ende des Jahres 2022 will der Vorstand die Rendite auf das materielle Eigenkapital auf acht Prozent nach oben treiben, bis 2025 sollen es gar mehr als zehn Prozent nach Steuern sein. Im Gesamtjahr 2021 waren es gerade einmal 3,8 Prozent.

Doch: „Stolz“ ist wieder eine häufig gebrauchte Vokabel in Reden der Deutsche-Bank-Führung. Er verlasse das Institut „in der tiefen Überzeugung, dass wir alle gemeinsam in den vergangenen Jahren die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt haben - strategisch ebenso wie personell“, resümiert Achleitner. Sewing sekundiert: „Sie hinterlassen uns und ihrem Nachfolger ein gut bestelltes Haus.“

Anschließend spielt die Bank ein minutenlanges Video ab, in dem aktuelle und ehemalige Mitstreiter Achleitner für „unermüdlichen Einsatz“ zum Wohl der Deutschen Bank loben. Der Österreicher, kurzzeitig sichtlich gerührt, hatte seinen im Herbst ausgeguckten Nachfolger für die Aufsichtsratsspitze, den Niederländer Wynaendts, bereits zuvor anmoderiert.

Am Tag nach dem Sieg von Eintracht Frankfurt in der Europa League wählt Fußball-Fan Achleitner einen sportlichen Vergleich: „Die Europaliga kann man aus Frankfurt heraus also offensichtlich schon gewinnen, selbst mit einem Österreicher als Coach. Für die Champions League braucht es sicher dann noch einen holländischen Trainer.“ Mit der am Donnerstag vollzogenen Wahl von Wynaendts beginnt bei der Deutschen Bank eine neue Zeitrechnung.

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