„Zuhause bleiben und Leben retten“

„Zuhause bleiben und Leben retten“

Dr. Jana Schroeder ist Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie der Stiftung Mathias-Spital.

In den sozialen Netzwerken tauchen vermehrt Berichte von vermeintlichen Experten auf, die die Wirkung des Coronavirus verharmlosen oder zu einer Risikoeinschätzung kommen, die sich unterscheidet von der der Bundesregierung und den Virologen, auf die sich die Bundesregierung stützt. Als Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemologie und als Infektiologin am Rheiner Mathias-Spital ist Dr. med. Jana Schroeder Expertin in diesem Fachgebiet.

Frau Dr. Schroeder, Sie sind kreisweit wohl die einzige Expertin in der Corona-Krise. Ihre Expertise ist in diesen Tagen sicherlich sehr gefragt. Wirkt sich das Coronavirus schon verstärkt auf Ihren Berufsalltag aus?

Dr. Jana Schroeder: Die einzige Expertin bin ich vermutlich nicht, aber tatsächlich ist meine Expertise derzeit sehr gefragt, so dass ich seit einiger Zeit im „Dauerdienst“ bin. Ich habe mittlerweile drei zusätzliche Mitarbeiter, damit insgesamt 18, die sich derzeit ausschließlich um Telefongespräche bezüglich des neuartigen Coronavirus kümmern und diese für mich vorfiltern. Wir könnten unlängst pensionierte Ärzte wie Hausärzte, Betriebsmediziner oder Internisten für die Beratung unserer Patienten und Mitarbeiter gut gebrauchen, wer interessiert ist, möge sich bitte in der Personalabteilung melden.

Was sind aktuell Ihre Kernaufgaben?

Dr. Schroeder: Meine Kernaufgaben sind derzeit, die Vorgänge zur Vorbereitung der möglichen Pandemie mit zu koordinieren. Wir sitzen derzeit fast täglich im Pandemiestab mit den ärztlichen Direktoren, Geschäftsführern und weiteren Ärzten und Mitarbeitern an relevanten Stellen zusammen und bereiten den Ernstfall vor. Ich kümmere mich auch um den Informationsaustausch mit den Gesundheitsämtern und Krankenhäusern anderer Kreise (Münster und Warendorf) und bespreche viele der aktuellen Themen mit den leitenden Mitarbeitern des Gesundheitsamtes Steinfurt. Außerdem werden unsere Mitarbeiter fast täglich über mich über die neuen Informationen aus der Stiftung zum neuartigen Coronavirus informiert.

Rheine steht quasi still, das öffentliche Leben in Deutschland und Europa ist drastisch heruntergefahren worden. Alles wegen eines mit dem Auge unsichtbaren Coronavirus. Halten Sie die Maßnahmen für übertrieben?

Dr. Schroeder: Ich halte jede dieser Maßnahmen für gerechtfertigt und möchte mich als Fachärztin in diesem Gebiet für eine weitere Verschärfung aussprechen. Wir müssen davon ausgehen, dass das Virus sich gleichartig zu anderen Ländern verhalten wird und zum Beispiel aus Italien hören wir beunruhigende Berichte darüber, dass zu viele Menschen gleichzeitig medizinisch versorgt werden müssen. Auch wenn die Intensivkapazitäten in Deutschland vermutlich besser als in Italien sind und wir längere Zeit hatten, um uns auf diese Situation vorzubereiten, bin ich beunruhigt über die Berichte. Es wird ja oft in den Medien berichtet, dass es darum geht, die alten Menschen zu schützen und dass hier Solidarität der Gemeinschaft eingefordert wird. Ich möchte noch weiter gehen und den Menschen sagen, dass sie, wenn das Gesundheitswesen mit Patienten mit COVID-19 überlastet ist, auch zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen oder bisher für Selbstverständliches – das Legen eines Herzkatheters oder das schnelle Versorgen eines gebrochenen Arms – nicht mehr selbstverständlich sind. Somit geht es nicht nur um Solidarität, sondern ein Stück weit auch um Egoismus, das Gesundheitssystem auch für sich selbst durch die jetzigen Schutzmaßnahmen weiterhin am Laufen zu halten.

Gibt es Ihrerseits Grund zur Kritik an bestimmten Entwicklungen: Müsste aus Ihrer Sicht etwas schneller gehen oder drastischer umgesetzt werden? Oder gibt es andererseits Maßnahmen, deren Wirkung Sie bezweifeln?

Dr. Schroeder: Ich habe trotz der bisherigen Maßnahmen noch viele Menschen draußen herumlaufen sehen. Es spricht aus infektiologischer Sicht nichts dagegen, alleine Joggen zu gehen, und die Infektionsgefahr ist draußen wesentlich geringer als in geschlossenen Räumen, aber Menschenansammlungen auf Spielplätzen oder in Parks sollten aus meiner Sicht auch jetzt schon unterbunden werden, um die Gefahr einer Übertragung des Virus zu verringern.

In den sozialen Medien tauchen aber immer wieder Berichte mit durchaus wissenschaftlicher Anmutung auf, die die Gefahr durch das Coronavirus relativieren und die eingeführten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen als übertrieben erscheinen lassen. Was halten Sie davon?

Dr. Schroeder: Ich habe einige dieser Berichte gehört und muss Ihnen sagen, dass ich es kaum ertrage, wie dort falsche Schlussfolgerungen, die für den Laien wissenschaftlich anmuten mögen, gezogen werden. In einer Zeit, in der so viel unsicher und bedrohlich scheint, ist es nachvollziehbar, dass die Menschen Interesse an „Alternativszenarien“ haben und diese auch gerne glauben möchten. Wenn alles plötzlich kompliziert wird, gehen einfache Lösungen „viral“ – verzeihen Sie das Wortspiel.

Die Relativierer vergleichen das Coronavirus immer wieder mit der Influenza. Ist so ein Vergleich angemessen? Und was ist tatsächliche gefährlicher und letztlich auch tödlicher für die Menschen: Corona oder Influenza?

Dr. Schroeder: Das Influenzavirus hat ähnliche Symptome und einen ähnlichen Übertragungsweg wie das neuartige Coronavirus. Dieses Virus trifft auf eine gänzlich „native“ also nicht immune Gesellschaft, ohne erprobte Therapiemöglichkeiten oder Impfung. Daher ist davon auszugehen, dass wesentlich mehr Menschen infiziert werden als bei einer Influenza. Die Sterberaten sind, da sie gänzlich anders gezählt werden, immer nur näherungsweise vergleichbar. Die weltweite Letalität liegt derzeit bei 3,7 Prozent (Stand heute, RKI) beim neuartigen Coronavirus. Bei einer Influenza gehen wir von einer Letalität von ca. 0,2 Prozent aus. Besonders die älteren Menschen sind von dieser Sterberate betroffen, aber wie bereits geschrieben, ist das neuartige Coronavirus zusätzlich schon deswegen potenziell tödlicher, weil wir, wenn sich das Virus mit der derzeitigen Geschwindigkeit weiter ausbreitet, zu viele kranken Menschen in einem zu kurzen Zeitraum im Gesundheitssystem versorgen müssten, um jedem einzelnen gerecht zu werden.

Der Virologe Professor Christian Drosten hat vor wenigen Tagen auf wissenschaftliche Studien aus den USA verwiesen, die am Beispiel der sogenannten Spanischen Grippe verdeutlichen, dass der beste nicht-pharmazeutische Schutz vor dem Virus in der Tat der Verzicht auf große Menschenansammlungen ist. Dort, wo Bürgermeister früh und drastisch Schulen geschlossen und Versammlungen unterbunden haben, sei der Ausbruch der Spanischen Grippe deutlich schwächer verlaufen. Lässt sich das auf die aktuelle Situation übertragen?

Dr. Schroeder: Der Hauptübertragungsweg des Virus ist die Tröpfcheninfektion beim Sprechen, Husten und Niesen, daher macht es Sinn, Menschenansammlungen beziehungsweise Menschen, die erkrankt sind, zu meiden. Daher kann ich aus medizinischer Sicht jedwede Anstrengung der Regierung unterstützen, diese Übertragungssituationen zu minimieren und möchte jedem Mitmenschen dazu raten, sich an die allgemeinen Hygieneregeln (häufiges Händewaschen, kein Händeschütteln, Husten und Niesen in die Armbeuge, nicht ins Gesicht fassen) zu halten.

Was sehen Sie in den kommenden Tagen noch auf uns zukommen? Was ist Ihnen wichtig? Was raten Sie als Virologin den Menschen in diesen Zeiten?

Dr. Schröder: Im Moment sehen wir noch keine Abschwächung der Virusübertragung. Es ist zu hoffen, dass dies durch die bisher getroffenen drastischen Maßnahmen zu erreichen ist. Da es ab Erkrankungsbeginn etwa zehn Tage dauert, bis Erkrankte ins Krankenhaus oder auf die Intensivstation kommen, erwarte ich eine weitere Steigerung der Todesfälle in Deutschland. Das erste Mal im Leben kann man durch „zu Hause bleiben“ Menschenleben retten – nutzen Sie diese Chance!