Politik Ausland

Ende der Corona-Regeln in England

Montag, 19. Juli 2021 - 05:25 Uhr

von dpa

Menschen mit Mund-Nasen-Schutz in London. Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

London (dpa) - Premierminister Boris Johnson mahnt die Briten zur Vorsicht nach der Aufhebung fast aller Corona-Maßnahmen in England. Er selbst gibt dabei aber nicht unbedingt das beste Beispiel ab. Trotz dramatisch steigender Infektionszahlen sind am Montag in England fast alle Corona-Maßnahmen aufgehoben worden. Weder das Tragen von Masken noch Abstandsregeln oder zahlenmäßige Beschränkungen für Veranstaltungen sind im größten britischen Landesteil fortan vorgeschrieben.

Täglich teils mehr als 50.000 Fälle

Premierminister Boris Johnson setzt auf die Eigenverantwortung der Menschen. Doch Experten warnen, dass die Situation trotz hoher Impfquote außer Kontrolle geraten könnte. Bereits jetzt werden täglich zum Teil mehr als 50.000 Fälle registriert - beinahe so viele wie zum Höhepunkt der zweiten Welle zum Jahreswechsel.

Gewerkschaften und Unternehmerverbände sprachen sich unterdessen für eine Beibehaltung der Maskenpflicht und ein gleichzeitiges Ende der Pflicht zur Selbstisolation bei geimpften Kontaktpersonen aus. Schon jetzt kommt es in vielen Branchen, vor allem bei Verkehrsbetrieben, zu Engpässen, weil viele Mitarbeiter in Selbstisolation sind.

Der Chef der Verkehrsgewerkschaft RMT (The Rail, Maritime and Transport Union), Mick Lynch, warnte, der vielfach als „Freedom Day“ („Freiheitstag“) gepriesene Tag der Öffnung könne sonst zum „Chaos Day“ werden.

Javid wollte sich um Isolation drücken

Zudem gab der Regierungschef am Wochenende nicht das beste Beispiel ab. Nachdem Gesundheitsminister Sajid Javid am Samstag mitgeteilt hatte, trotz zweifacher Impfung an Covid-19 erkrankt zu sein, wollten sich Johnson und sein Finanzminister Rishi Sunak zunächst um die eigentlich für Kontaktpersonen vorgeschriebene Selbstisolation drücken. Die beiden nähmen an einem Pilotprojekt teil, das stattdessen tägliche Tests vorsehe, hieß es am Sonntagmorgen.

Keine drei Stunden später, nach einem landesweiten Aufschrei - immerhin sitzen derzeit Hunderttausende Briten wegen einer Aufforderung zur Selbstisolation zu Hause - ruderte die Regierung zurück. Johnson befinde sich auf seinem Landsitz Chequers in Selbstisolation, hieß es dann.

Von dort aus wandte sich Johnson in einer Videobotschaft an seine Landsleute. Er haben „kurzzeitig darüber nachgedacht“, an dem Pilotprojekt teilzunehmen, sagte Johnson. „Aber ich denke, es ist viel wichtiger, dass sich alle an dieselben Regeln halten, und deswegen werde ich bis zum 26. Juli in Selbstisolation gehen“, so der konservative Politiker weiter.

Johnson baut auf Impfprogramm

Johnson gab sich zuversichtlich, dass die hohe Impfrate im Land auch ohne weitere Maßnahmen einen ausreichenden Schutz vor der Pandemie bietet. Inzwischen haben 88 Prozent der Erwachsenen im Vereinigten Königreich eine erste Impfung erhalten. Knapp 68 Prozent sind bereits zweimal geimpft. „Das massive Impfprogramm hat die Verbindung zwischen Ansteckung und Krankenhauseinweisung und zwischen Ansteckung und schwerer Erkrankung und Tod erheblich geschwächt“, sagte Johnson.

Doch Experten zweifeln daran, ob der Schutz durch die Impfungen ausreichen wird, um einer großen Infektionswelle standzuhalten. Dem Epidemiologen Neil Ferguson vom Imperial College in London zufolge ist es „beinahe unausweichlich“, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen die Marke von 100.000 bald überschreitet. „Die echte Frage ist, ob es sogar doppelt so viel wird, oder sogar noch mehr“, sagte Ferguson der BBC am Sonntag. Im schlimmsten Fall, wenn die Zahl der Krankenhauseinweisungen 2000 oder 3000 täglich erreiche, müssten Maßnahmen ergriffen werden, um die Pandemie wieder in den Griff zu kriegen, warnte er.

Das will Johnson eigentlich unbedingt verhindern. Er hatte den Weg seines Landes aus dem Lockdown stets als „vorsichtig aber unumkehrbar“ beschrieben. „Bitte, bitte, seien Sie vorsichtig“, flehte er die Briten an. Ob er damit noch überzeugen kann, scheint fraglich.