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Umstrittene Asylreform: EU hofft auf Durchbruch in Luxemburg

Asyl

Donnerstag, 8. Juni 2023 - 08:51 Uhr

von dpa

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnt in der Debatte um die EU-Asylreform vor nationalstaatlicher Abschottung. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Luxemburg (dpa) - Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat vor einem Scheitern des EU-Treffens zu einer großen Reform des europäischen Asylsystems gewarnt.

„Es ist wichtig, dass wir jetzt zu Ergebnissen kommen. Anderenfalls ist mit mehr nationalstaatlicher Abschottung zu rechnen“, sagte die SPD-Politikerin vor dem Treffen in Luxemburg dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Es gehe darum, das Europa der offenen Grenzen zu retten. Wenn die EU-Außengrenzen nicht verlässlich kontrolliert würden, gerate das Schengen-System in Gefahr, erklärte Faeser. Dieses wurde geschaffen, um innerhalb Europas grenzkontrollfreies Reisen zu ermöglichen.

Vor seinem Besuch in Rom hat Bundeskanzler Olaf Scholz Italien Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen zugesichert. Italien, Griechenland und andere am Mittelmeer liegenden EU-Staaten stünden vor einer großen Herausforderung, weil die Zahl der dort ankommenden Flüchtlinge steige, sagte der SPD-Politiker der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“.

„Und damit dürfen wir Italien und die anderen nicht allein lassen, sondern verfolgen einen Ansatz von Solidarität und Verantwortung.“

Scholz warb gleichzeitig für eine Einigung auf eine grundlegende Reform des europäischen Asylsystems. „Wir brauchen eine solidarische Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit zwischen den EU-Staaten sowie die Einhaltung der Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten.“

Die Gruppe der deutschen Grünen im Europaparlament warnte hingegen vor einem Kompromiss „um jeden Preis“. Die Pläne für sogenannte Grenzverfahren würden zu Lasten der Menschenrechte gehen und seien wirkungslos, sagte ihr Sprecher Rasmus Andresen den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Vor allem Kinder dürften nicht monatelang in
Massenlagern festgehalten werden.

Nock kritischer äußerte sich die Linken-Europaabgeordnete Cornelia Ernst. Sie bezeichnete die Reformpläne als „ein Plädoyer für ein Europa der Zäune und Mauern“, bei dem es darum gehe, das Recht auf Asyl in Europa de facto abzuschaffen.

Bei dem Innenministertreffen soll heute ein neuer Versuch unternommen werden, eine Reform des europäischen Asylsystems auf den Weg zu bringen. Auf dem Tisch liegen Entwürfe für Gesetzestexte, die die derzeitige schwedische EU-Ratspräsidentschaft auf Basis von Vorschlägen der EU-Kommission erarbeitet hat. Sie sehen insbesondere einen deutlich rigideren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor.

Zudem soll Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedsstaaten an den EU-Außengrenzen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die wie Ungarn keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.

Ob sich bei dem Treffen eine ausreichend große Mehrheit an Ländern hinter die Gesetzesvorschläge stellen wird, war bis gestern Abend unklar. Laut Diplomaten ist eine entscheidende Frage, wie sich die deutsche Koalitionsregierung positionieren wird. Sie hatte auf Drängen der Grünen in den Vorgesprächen zu dem Innenministertreffen gefordert, dass Familien mit Kindern von neuen strengen Grenzverfahren ausgenommen werden. Eine sehr große Mehrheit der anderen Staaten lehnte dies allerdings vehement ab, weil sie durch eine solche Regelung den Abschreckungscharakter gefährdet sieht.

Der derzeitige Vorschlag für die neuen Grenzverfahren sieht vor, dass ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, würde er umgehend zurückgeschickt werden.

Faeser betonte, dass diese Verfahren „nicht für Menschen gelten, die vor Folter, Krieg und Terror geflohen sind“. Es gehe um schnelle und faire Asylverfahren für jene, bei denen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie in der EU Schutz benötigten. Generell gelte: „Das Asylrecht wird nicht angetastet. Wenn Menschen bei uns in Europa Asyl beantragen, dann müssen sie ein faires, rechtsstaatliches Verfahren erhalten. Jeder Fall muss individuell geprüft werden.“

Scheitern könnte eine Abstimmung nach Angaben von Diplomaten auch an einer von der Bundesregierung geforderten Einschränkung einer Regel, die die Abschiebung von in erster Instanz abgelehnten Asylbewerbern in Länder ermöglichen soll, die nicht ihre Heimatländer sind. Sie würde vorsehen, dass eine Abschiebung nur dann möglich ist, wenn die Betroffenen klare Verbindungen in diese Länder haben. Eine Mehrheit der EU-Staaten lehnt allerdings auch dies als kontraproduktiv ab.

Zudem ist unklar, ob Italien die geplanten Regelungen für mehr Solidarität weit genug gehen. Die Asylreform ohne Unterstützung der Regierung in Rom auf den Weg zu bringen, gilt als wenig sinnvoll, da in dem Land derzeit die meisten Migranten ankommen und die EU darauf angewiesen ist, dass sich Italien dann an die neuen Regeln hält. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.

Voraussetzung für einen Beschluss zu den Plänen ist, dass 15 von 27 Mitgliedstaaten mit Ja stimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen müssen. Wenn sich keine ausreichend große Mehrheit abzeichnet, müssten die Verhandlungen noch einmal fortgesetzt werden.

Sollte der EU-Ministerrat bis zur Sommerpause keinen Beschluss fassen, dürfte es kaum noch eine Chance geben, das Reformprojekt in absehbarer Zeit über die Ziellinie zu bringen. Grund ist, dass es auch noch Verhandlungen mit dem Europaparlament darüber geben muss. Diese könnten Monate dauern - dann reicht möglicherweise die Zeit nicht mehr, das Projekt vor der Europawahl im Juni 2024 abzuschließen.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte der „Welt“: „Wir können uns nicht erlauben Zeit zu verlieren, möglicherweise sogar Jahre.“ Man brauche nun von allen EU-Ländern einen konstruktiven Ansatz und eine schnellstmögliche Entscheidung.

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