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Kapitän ohne Mannschaft: Neuers „Tiefschlag“ im Rekordspiel

Mittwoch, 18. November 2020 - 13:01 Uhr

von Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa

Gleich sechsmal musste DFB-Keeper Manuel Neuer in Spanien hinter sich greifen. Foto: Daniel Gonzales Acuna/dpa

Sevilla (dpa) - Nach dem 0:3 brüllt Manuel Neuer seine Vorderleute noch lauthals an. Nach Gegentor Nummer vier schlägt er nur noch frustriert gegen den Pfosten. Im 96. Länderspiel erlebt Deutschlands nun alleiniger Rekordtorwart eine Premiere der negativen Art. Manuel Neuer hatte einen ganz dicken Hals - Kragenweite XXXL. Sechs Gegentore gegen Spanien, sein Rekordspiel im DFB-Tor eskalierte in einem persönlichen Negativrekord.

Nie zuvor musste Deutschlands Fußball-Rekordnationaltorwart in seinen nun 96 Länderspielen den Ball mehr als viermal aus seinem Kasten holen.

„Das ist ganz enttäuschend für uns alle“, haderte Neuer, als er genervt und fassungslos das 0:6-Desaster im ARD-Interview erklären sollte. Im Estadio Olímpico de La Cartuja von Sevilla war Neuer ein Kapitän ohne Mannschaft, auch wenn er nach dem Abpfiff Solidarität mit seinen Vorderleuten übte. „Ich bin ein Teil der Mannschaft. Wir haben zusammen das Spiel vergeigt“, sagte der 34-Jährige.

Der Weltmeister von 2014 sprach eine lange Mängelliste an. „Die Körpersprache und die Kommunikation waren zu wenig. Wir hätten mehr sprechen müssen. Es ist wichtig, dass man sich unterstützt“, klagte der machtlose und auch im Stich gelassene Weltklassetorwart.

Neuer versuchte anfangs noch, seine Kollegen aufzurütteln. Er hielt mehrmals herausragend im Eins-gegen-Eins wie gegen den dreifachen Torschützen Ferran Torres oder den Leipziger Dani Olmo. Nach dem 0:3 brüllte er seine Mitspieler noch lautstark an. Nach dem 0:4 saß er dann nur noch hilflos auf dem Rasen und schlug frustriert mit der rechten Hand gegen den Torpfosten. „Das ist einfach nur bitter.“

Was nun, Manu? Der erfahrene Kapitän hatte sich so auf dieses Spiel gefreut, in dem er die Torwart-Legende Sepp Maier (95 Länderspiele) an Einsätzen überholte. „Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe“, sagte er erst am Montag. Er war so motiviert und positiv in das Spiel gegangen, das man angehen werde „wie ein Finale“.

„Grundsätzlich bin ich mit der Entwicklung der Mannschaft zufrieden. Ich habe Vertrauen in unsere Spieler, in unsere Defensive. Und ich habe auch Vertrauen in meine Fähigkeiten“, sagte der Schlussmann vor dem Anpfiff. Dann konnte auch er den Untergang nicht abwenden.

Am Mittwoch erschien in der „Sport-Bild“ ein Interview, in dem Neuer von seiner großen Vorfreude auf die EM im kommenden Sommer spricht. „Wir wollen nach allem greifen, was möglich ist: Jeder von uns will Europameister werden“, sagte er da. Kein Witz!

Der EM-Titel fehlt ihm noch in seiner Sammlung. Das Interview wurde natürlich vor dem 0:6 geführt und gedruckt. In der Nacht zum Mittwoch klang bei Neuers Worten vor der TV-Kamera in Sevilla nur noch eine stark reduzierte EM-Zuversicht durch. „Es ist so, dass wir noch Zeit haben. Alles kann uns helfen, natürlich auch solch ein Tiefschlag.“