Koalitionsverhandlungen für Ampel-Bündnis beginnen

Koalitionsverhandlungen für Ampel-Bündnis beginnen

Blick in den Plenarsaal des Bundestags im Reichstagsgebäude. (Archivbild). Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin (dpa) - Erst wurde vorsondiert, dann sondiert, nun geht es ans Eingemachte: SPD, Grüne und FDP starten in Koalitionsverhandlungen. Auf dem Weg zu einer Ampelkoalition warten noch ein paar Hindernisse. Fast einen Monat nach der Bundestagswahl in Deutschland beginnen SPD, Grüne und FDP an diesem Donnerstag ihre Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung.

Auf dem Berliner Messegelände kommen zum Auftakt die Hauptverhandler, je sechs hochrangige Vertreter jeder Partei, mit den Leitern der Arbeitsgruppen zusammen. Insgesamt 22 Arbeitsgruppen mit Fachpolitikern sollen dann in den kommenden Wochen die Details eines Koalitionsvertrags aushandeln. SPD, Grüne und FDP streben an, noch vor Weihnachten eine gemeinsame Regierung zu bilden. Es wäre die erste sogenannte Ampel-Koalition auf Bundesebene.

Als Knackpunkte bei der Suche nach einem Programm für eine Ampel-Koalition gelten vor allem Unterschiede in der Steuer- und Finanzpolitik sowie der richtige Weg zum Klimaschutz. SPD, Grüne und FDP steuern damit auf schwierige Verhandlungen über die Finanzierbarkeit ihrer Vorhaben zu.

Vorfestlegungen

Einige Hürden haben die Ampel-Partner bereits mit ihrem am Freitag vorgelegten zwölfseitigen Sondierungspapier aus dem Weg geräumt. So soll der gesetzliche Mindestlohn einmalig auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden. Das Wahlalter für Bundestag und Europaparlament soll auf 16 Jahre sinken. Pro Jahr werden 400.000 neue Wohnungen angepeilt. Es soll keine Rentenkürzungen geben, auch das Renteneintrittsalter wird nicht angehoben. Geplant ist der Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente. Ein Tempolimit auf Autobahnen wird es nicht geben.

Finanzpolitik

Die Partner wollen investieren in Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung. Im Gespräch ist eine Summe von 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Zugleich sollen Steuern nicht erhöht und die Schuldenbremse eingehalten werden. Über andere Finanzierungswege dürfte es harte Verhandlungen geben, nur auf Steuermehreinnahmen zu setzen, reicht nicht aus. Öffentliche Investitionsgesellschaften und Unternehmen des Bundes könnten Kredite aufnehmen, sie gehören nicht zu den Kernhaushalten des Bundes. Zudem wollen die Partner überflüssige und klimaschädliche Subventionen auf den Prüfstand stellen. Um die Details dürfte heftig gerungen werden.

Klimaschutz

Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll „drastisch“ beschleunigt werden, darüber sind sich SPD, Grüne und FDP einig. Ein paar Pflöcke haben sie schon eingeschlagen, etwa mit einer Solardachpflicht für gewerbliche Neubauten und einem beschleunigten Kohle-Ausstieg, der „idealerweise“ bis 2030 gelingen soll. Der Grünen Jugend und den Klimaschützern gehen die Vorschläge nicht weit genug, auch mit den Bundesländern mit Kohlerevieren dürfte das nicht konfliktfrei zu regeln sein.

Auch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sieht einen schnelleren Kohleausstieg nur unter bestimmten Voraussetzungen als möglich an. „Wenn eine künftige Ampelkoalition den Ausstieg aus der Kohleverstromung weiter vorziehen will, müssen das Tempo der Energiewende massiv gesteigert und die Neuansiedlung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in den Revieren beschleunigt werden“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Energiepreise

Die Preise an den Tankstellen oder für das Heizen schnellen in die Höhe. Hier müssen die potenziellen Koalitionäre Wege finden, den Anstieg für die Bevölkerung abzupuffern, ohne dass dies den Klimazielen im Wege steht.

Wer wird was

Die Verteilung von Posten steht üblicherweise am Ende von Koalitionsverhandlungen. Zumindest über die Schlüsselposition des Finanzministers wird schon jetzt öffentlich debattiert. Politiker von FDP und Grünen hatten dafür ihre jeweiligen Parteichefs Christian Lindner und Robert Habeck ins Spiel gebracht.

Die Grünen-Co-Vorsitzende Annalena Baerbock unterstrich am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“, man habe sich darauf verständigt, erst einmal die „inhaltlichen Leitplanken“ festzuziehen - und erst danach die Ressortfragen zu klären. Sie pochte darauf, die Regierung paritätisch zu besetzen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte im Wahlkampf stets betont, sein Kabinett werde zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt sein. Das sei „kein Selbstläufer“, mahnte Baerbock.

Viele Forderungen, viele offene Fragen

In einigen Bereichen ist das Sondierungspapier vage geblieben, etwa in der Verkehrs- oder auch Außen- und Sicherheitspolitik. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sieht bei den Sozialversicherungen einen immensen Handlungsbedarf. „Das ist ein zentrales Thema und bedauerlicherweise ist das auch die größte Enttäuschung in dem Sondierungspapier“, sagte er der dpa. Die demografische Alterung sei in dem Papier überhaupt nicht berücksichtigt worden. „Wir werden aber in der nächsten Dekade bis 2030 einen Verlust von über drei Millionen Erwerbspersonen zu verzeichnen haben. Das führt zu vollkommen anderen Belastungen bei einer gleichzeitig steigenden Anzahl von Rentnern.“

Die Nachwuchsorganisationen der drei Parteien sind auch noch nicht zufrieden. Die Jungsozialisten pochen auf den Ausbau des Nahverkehrs, niedrigere Ticketpreise und eine umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie. Die Grüne Jugend will beim Klimaschutz nachlegen, die Jungen Liberalen wollen die Vermögensbildung erleichtern, eine Legalisierung von Sterbehilfe, die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen im Strafgesetzbuch und vollständige Legalisierung von Cannabis.